Hallo zusammen! Hier mal ein Konzertbericht von einem Ort, an den es Bluesfreunde normalerweise nicht so schnell verschlägt:
Draußen ist es saukalt – minus 18 Grad zeigt das Autothermometer, als wir nach fast 200 Kilometern Fahrt durch die stockfinstere russische Nacht von Tscheljabinsk nach Ekaterinburg in der heimlichen Hauptstadt des Urals ankommen. Unser Ziel: das „Gordon´s“, ein „Scottish Music Pub“ im Zentrum von Ekaterinburg. Ich bin geschäftlich in Russland jenseits des Urals und habe über das Internet recherchiert, dass das „Gordon´s“ am 7. November eine Party zum zehnjährigen Bestehen feiert.
Mit dabei – und mein Grund für den weiten Weg auf verschneiten Straßen: die „Blues Doctors“, eine wirklich heiße russische Bluestruppe. Vor dem Auftritt der Band gibt es erst einmal alle möglichen Redebeiträge. Ich verstehe zwar kein Wort, doch das Publikum – die Kneipe ist mit 200 Leuten bestens besucht – amüsiert sich prächtig. Zwischen den Vorträgen treten sehr, sehr ansehnliche russische Damen mit einer Reihe von Tanzvorführungen in Erscheinung.
Aber dann ist endlich Bluestime. Und was vom ersten Ton in der russischen Pinte abgeht, dass wünscht sich jeder deutsche (Blues-) Musiker hierzulande meistens vergeblich. Die „Blues Doctors“, in Ekaterinburg echte Local Heroes, spielen in der Besetzung Gitarre/Gesang, Bass, Keyboards und Schlagzeug einen richtig heißen Auftritt. Und die Zuhörer gehen bei dem Groove der Truppe ab wie die Raketen. Es dauert nur einen halben Song, dann ist die Tanzfläche vor der Bühne gerammelt voll und die Kneipe bebt. Für die ersten beiden Nummern haben die Blues-Doktoren – passend zur Location - einen Dudelsackspieler im originalen schottischen Outfit engagiert. Der Kollege im karierten Kilt holt aus dem Flötensack ganz ungewohnte Bluesrock-Solos heraus – grandios! Und die „Blues Doctors“ rocken dazu die Schotten-Bar, dass die Fetzen fliegen!
Das Erstaunliche: Selbst bei den späteren Slowblues-Nummern verlässt niemand die Tanzfläche. Im Gegenteil: Die Leute schwoofen begeistert und veranlassen die Band zu schweißtreibender Arbeit. Die Jungs auf der Bühne haben sichtlich Spaß und hauen diverse Blues- und Rock´n Roll-Klassiker in einer Qualität raus, mit der sie sich auch auf deutschen Bühnen nicht zu verstecken brauchten. Nach einer guten Stunde folgt als Höhepunkt des Doktoren-Sets eine 15-minütige Version von „Further Up On The Road“ – eine große Nummer in einer absolut famosen Fassung.
Nach dem Gig quatsche ich noch mit Vladimir Demyanov, dem Gitarristen und Sänger der Band. Er spricht sehr gut Englisch und erzählt mir, dass die Truppe durch ganz Russland tourt und an diesem Abend insgesamt drei Gigs in der Region Ekaterinburg hat. Nach dem Set im „Gordon´s“ steht irgendwann in der Nacht noch ein weiterer Kurzauftritt auf dem Programm. Fast hätten die „Blues Doctors“ schon einmal einen Auftritt in Deutschland gehabt, der sei dann jedoch, so Vladimir, im letzten Moment abgesagt worden. Aber ich bin überzeugt, dass die hervorragende Band auch irgendwann mal in Deutschland zu hören sein wird. Ich habe Vladimir versprochen, mich darum zu kümmern.
Für das Publikum im „Gordon´s“ gibt es nach den „Blues Doctors“ noch ein weiteres musikalisches Highlight. An einem kleinen Tisch in der Nähe der Bühne sitzt ein älterer Herr mit grauem Bart. Mein russischer Gastgeber erklärt mir voller Ehrfurcht, dies sei Evgeny Margulis, eine russische Rocklegende, der mit seiner Band „Time Machine“ die Menschen mit seinen Liedern schon zu Zeiten der Sowjetunion sehr bewegt habe. Was das in der Praxis bedeutet, erlebe ich dann im „Gordon´s“ live. Von den „Blues Doctors“ richtig in Stimmung gebracht, ruft das Publikum laut nach Evgeny Margulis und er lässt sich nicht allzu lange bitten. Er hängt sich eine E-Gitarre um und stimmt einen seiner Songs an. Die Menschen kennen jedes Wort und singen mit. Das ist Gänsehaut pur – eine Mischung aus russischer Seele, tiefer Melancholie und gefühlvollem Blues. Beim zweiten Lied ist die Stimmung in der Kneipe so voller Glückseligkeit, dass man heulen könnte. Was für ein Musikabend, was für ein Hochamt des Blues mitten in der russischen Provinz!!!
Blueskollegen, wenn Euch mal in Deutschland die Decke auf den Kopf fällt und Euch keiner beim Bluesspielen zuhören will, dann auf in den tiefen Osten. Das ist es zwar schweinekalt, aber der Russe hat ihn, den Blues!
hast Du keine Foto´s gemacht. Ich hätte auch gerne mal einen optischen Eindruck von Deiner verbalen Schwärmerei...oder hast Du keine Kamera bei gehabt??!! Aber dann beim nächsten Mal...!
Hi, Chris, doch ich habe Fotos gemacht - aber natürlich nur von den russischen Tänzerinnen Nein, im Ernst, ich stelle hier morgen oder so ein paar Fotos ein. Ich bin ja letzte Nacht erst nach Hause gekommen. Die Bilder sind noch in der Digitalkamera. Schönen Gruß